Hier der Teil der Route von Figuig an: https://www.google.com/maps/di…6587!2d30.3458998!1m0!3e0
Die 62 Tage von Marrakesch
Gegen 17 Uhr erreichen wir das Anwesen von Aicha und Reinhard, einem marokkanisch-deutschen Paar, die vor den Toren Marrakeschs ihr Unternehmen „Marokkoreisen“ betreiben. Wir kennen die beiden schon länger.
In ihrem weitläufigen Garten, wo auch Ihre Pension „Schlosshotel“ für 20 Gäste steht, parken wir unseren Campingbus.
Fast zur gleichen Zeit treffen noch Tini und Uwe mit Ihrem Hymer und Oli mit seinem Allrad-LKW ein. Sowohl Tini und Uwe als auch Oli wohnen dauerhaft in ihren Fahrzeugen. Sie bilden mit uns den „harten Kern“, es werden die Menschen sein, die mit uns nun 62 Tage in Marrakesch verbringen und uns sehr ans Herz wachsen.
Ab und an kommen weitere Leute mit Wohnmobilen oder Geländefahrzeugen hinzu und ziehen auch wieder weiter. Die Pensionsgäste konnten alle noch planmäßig nach Hause fliegen und die für jetzt hier gebucht hatten, können Marokko nun nicht mehr erreichen.
Da wir mit der Hausherrin Aicha, die perfekt arabisch, französisch und deutsch spricht nun auch uneingeschränkten Zugang zu den hiesigen Nachrichtenquellen haben, wird zuerst einmal die Lage sondiert.
Die Fakten sind: Marokko hat trotz bedeutend niedrigeren Infektionsraten und Erkrankungsfällen weitreichende Maßnahmen, analog zu den europäischen Ländern, zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen: Schulen und Moscheen Museen und Geschäfte, die nicht dem täglichen Bedarf dienen haben geschlossen. Der reguläre Personen-Flug und Fährverkehr ist seit dem 15.3. eingestellt. Alle touristischen Aktivitäten sind zu unterlassen. Am heutigen Tag, dem 20.3. treten drastische Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Es wird eine tägliche totale Ausgangssperre von 18.00 bis 5.00 angeordnet, Fahrten innerhalb des Stadtgebietes zum Einkaufen sind gestattet, bedürfen jedoch nach einer Übergangsfrist eines Erlaubnisscheins der zuständigen Gemeinde. Fahrten zwischen verschiedenen Kommunen bedürfen eines Permits der zuständigen Polizeibehörde. In öffentlichen Bereichen ist Mundschutz zu tragen, auch bei Fahrten im eigenen Auto. Maskenpflicht noch weit bevor dieses in Deutschland eingeführt wurde.
Danach kommen noch andere Dinge hinzu: So wird die Schuldendeckelung aufgehoben, das Parlament beschließt neue Auslandskredite aufzunehmen. Der König empfiehlt den Staats- und Kommunalbeamten auf einen Tag Gehalt pro Monat zu verzichten. Eine Empfehlung vom König bedeutet hier: Dieses ist ein Befehl. Die Abgeordneten verzichten einen Monat auf ihre Bezüge.
Spät abends kommen drei Ehepaare mit Expeditionsmobile hier an. Wir sitzen gemeinsam bei Aicha und Reinhard im Salon und besprechen bei Tee und im Hause selbstgefertigtem Gebäck die Lage.
Der Hausherr gibt sich optimistisch: Die Maßnahmen werden nicht von langer Dauer sein. Sie sind für drei Wochen befristet angesetzt und am 23.4. beginnt der Ramadan. Da wollen die Marokkaner allabendlich nach Sonnenuntergang zusammensitzen und feiern. Der allgemeine Konsens lautet: Das werden wir dann wohl hier aussitzen.
Am nächsten Morgen bringt Aicha frische Brötchen und Gebäck. Die Besatzungen der Expeditionsmobile scheinen schlecht geschlafen zu haben, sie wirken etwas panisch. Es wird eine Krisensitzung für 10.00 Uhr im Salon vereinbart. Es werden noch einmal Argumente ausgetauscht.
Die Informationen des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaft in Rabat auf ihren Websites sind nicht sehr hilfreich: In Folge der Coronakrise hat die deutsche Botschaft ihren Dienstbetrieb reduziert. Von Routineanfragen bitten wir abzusehen. Und weiter heißt es: Der Flug- und Fährverkehr ist eingestellt. Als Individualtourist versuchen sie so schnell wie möglich das Land zu verlassen.
Aus den sozialen Netzwerken ist bekannt, daß an der Grenze zur spanischen Enklave Ceuta noch EU-Bürgern der Grenzübertritt möglich ist und auch Fähren nach Spanien verkehren. Es haben sich schon jede Menge Fahrzeuge angestaut und warten auf Abfertigung. Jedoch hat Spanien angekündigt seine Grenzen generell zu schließen. Außerdem ist die Durchfahrt durch Spanien und Frankreich stark reglementiert oder ganz untersagt. Da ist die Nachrichtenlage momentan uneindeutig. Das ist uns alles zu unsicher. Tini, Uwe, Oli und auch wir beschließen zu bleiben. Die drei Expeditionsmobile brechen panisch auf. Wir bleiben mit ihnen in Kontakt.
Als sie am 23.3. an der Grenze zu Ceuta ankommen verweigert Spanien inzwischen jegliche Einreise.
Das Drama von Ceuta beginnt. Dort oben im Norden Marokkos ist es kalt, es regnet schon seit mehreren Tagen. Die hygienischen Bedingungen in der Warteschlange von Hunderten PKWs, Motorrädern und Wohnmobilen werden untragbar. Ein Ehepaar aus den Expeditionsmobilen beide Anwälte von Beruf nehmen sich gemeinsam mit einem weiteren Anwalt aus der Warteschlange der Sache an. Sie schreiben juristisch fundierte Petitionen an das Auswärtige Amt und die Europäische Kommission an einige Abgeordnete. Auch die Medien werden eingeschaltet, das Fernsehen und die Presse verschiedener Länder berichtet.
Es nützt nichts, die Grenze bleibt geschlossen. Die marokkanischen Behörden stellen in der Nähe einen Platz mit Infrastruktur zur Verfügung. Nach vier Tagen entschließen sich viele das Angebot anzunehmen. Andere können unbehelligt trotz bestehender Reiseverbote auf Plätze im Landesinneren zurückkehren.
Auch das Anwaltspaar kommt den weiten Weg nach Marrakesch zu uns zurück, mit ihnen der weitere Anwalt aus der Ceuta-Schlange. Sie sind schwer enttäuscht von den deutschen Behörden. Zumal gerade eine Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes die Runde durch die verschiedenen Medien macht: „Die Rückholaktion des Auswärtigen Amtes für deutsche Urlauber ist erfolgreich abgeschlossen. Mehrere hunderttausend Personen konnten aus aller Welt nach Deutschland zurückgeführt werden. Zur Zeit befinden sich nur noch wenige hundert Deutsche im Ausland.“
Von den wenigen hundert befinden sich 1500 allein in Marokko, wie eine Umfrage auf den sozialen Medien gezeigt hat. In Australien und Neuseeland sollen es noch ca. 10000 sein. Auch in anderen Ländern halten sich noch eine Vielzahl von Deutschen auf, denen eine Rückkehr verwehrt bleibt. Nachdem die Pauschalurlauber, die bei den großen Reisekonzernen gebucht hatten, fast alle wieder zu Hause sind, fühlt sich für die vielen Tausend die auf eigene Faust noch in allen möglichen Ländern unterwegs sind anscheinend keiner zuständig.
Durch die Initiative von Maren und Ralf, die vom Palmenhain in Tafraout aus eine Plattform in den sozialen Medien organisiert haben, mit der die in Marokko Verbliebenen gezählt und vernetzt werden, ist inzwischen mit arger Verspätung auch bei der deutschen Botschaft in Rabat die Sachlage angekommen. Der Kultur- und Sportattaché der Botschaft wird als Ansprechpartner für Individualreisende installiert. Denn nicht jeder ist in der komfortablen Lage so viel Zeit zu haben wie wir. Manch einer müsste schon längst wieder an seinem Arbeitsplatz sein.
Nur an insgesamt drei Tagen bietet sich von unserem Standort aus solch eine klare Fernsicht über Marrakesch auf den Atlas. (Fotos 2-5: O.Grimm)
Bei uns ist Alltag eingekehrt. Wir können trotz fehlender Erlaubnis unbehelligt in den Vororten Marrakeschs Einkaufen fahren. Die Straßen erscheinen ohne das sonst so quirlige Leben öde. Alle Läden die keine Lebensmittel führen, sind geschlossen. Die großen Supermärkte haben strenge Hygienemaßnahmen eingeführt. Das Maskentragen im Laden wird kontrolliert, man bekommt den Einkaufswagen und die Hände von einem Angestellten desinfiziert. Es wird nur eine bestimmte Anzahl von Kunden gleichzeitig eingelassen. Die kleinen Händler handhaben das sehr unterschiedlich. Manche ziehen sogar jeden Geldschein und jede Münze durch ein Desinfektionsbad, für andere scheint Corona überhaupt nicht zu existieren. Mit zunehmender Zeit neigen alle zu Letzterem.
Aber es fällt auf, dass es hier keinerlei Hamsterkäufe gibt. Es ist alles überreichlich vorhanden. In Deutschland geht zu dieser Zeit gerade die Klopapierkrise um.
In einer deutschen Boulevardzeitung lesen wir von einem Berliner Radfahrerpaar, das auch in Marrakesch gestrandet ist, und sich nur noch von Tee und Bohnen ernährt, weil es angeblich nichts anderes zu kaufen gibt. Das muss in einem anderen Marrakesch sein.